Lothar Frenz

Lesung am 30.10.2021 mit Lothar Frenz, „Wer wird überleben?“
„Lasst uns gute Parasiten sein“!

„Verwirrt kam ich aus dem Wald. Meine Welt war nach dieser Erfahrung eine andere. Gemeinsam waren wir mit der Gruppe im dichten Unterholz unterwegs gewesen. Zwischendurch hatte mich der eine oder andere von ihnen an der Hand genommen. Aber Sophie begann sich erst für mich zu interessieren, als wir auf einer Lichtung Rast machten. Sie setzte sich auf meinen Schoß. Ich wusste nicht so recht wie mir geschah, als Sophie sich plötzlich an mich schmiegte. … Lange schauten wir uns ins Gesicht. … Schließlich umarmte Sophie mich fest. … Fünf Minuten später saß Sophie schon wieder im Baum und ließ mich am Boden zurück.“

Lothar Frenz schildert zu Beginn seiner Lesung ein ihn berührendes Erlebnis während eines Projektes auf der Insel Ngamba im Victoriasee. Dort leben halbwilde Schimpansen-Waisen, die in einem Reservat angesiedelt wurden und an Menschen gewöhnt sind. Was er dort erlebt hat, habe seinen Blick auf die Welt verändert, sagte er. Der Unterschied zwischen „Wir“ und „Die“ habe sich für ihn vermischt. Mit dieser einleitenden Geschichte wolle er verdeutlichen, worum es ihm in seinem Buch geht: um Beziehungsfragen. Die Beziehung des Menschen zu den Tieren und der Natur.

Der Autor legt den Fokus auf den rasanten Verlust der Artenvielfalt und kommt auf den Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu sprechen: Artenschutzexperten würden schon lange davor warnen, dass ein solches Virus durch den rücksichtslosen, ausrottenden Handel mit Wildtieren entstehen würde. „Ist uns überhaupt bewusst, dass mit der Corona-Pandemie die Auswirkungen der Arten- und Biodiversitätskrise für uns als Spezies Mensch erstmals größere Folgen haben als die Folgen der Klimakrise?“ fragt Lothar Frenz. Und: Haben wir die Wucht dieses und des kommenden Wandels noch im Griff?

Oft werde er gefragt: wird die Spezies Mensch überleben? „Ja, natürlich, der Mensch ist anpassungsfähig.“ Das sei nicht die Frage! Sondern die: Wie kann eine komplizierte Beziehung besser werden? Bietet die Erde noch genug Platz für alle? Wie wollen wir leben? Lothar Frenz bietet einen erstaunlichen Lösungsvorschlag an: „Lasst uns gute Parasiten sein“! Parasiten würden ihren Wirt nutzen, ohne ihn zu vernichten. Deshalb fordert er in seinem Buch: „Der Mensch muss die Natur nutzen, ohne sie zu zerstören.“

Parallel zur Lesung gaben Vertreter der BUND-Ortsgruppe Schwalbach/Eschborn einen Einblick in ihre Arbeit, z. B. die Pflege einer Streuobstwiese, auf der vor allem Apfelbäume wachsen, und dem Nachweis einer Population des sogenannten „Gartenschläfers“. Einem Nager, der in vielen Regionen Europas spurlos verschwunden ist. (BUND: Bund für Umwelt- und Naturschutz) Lothar Frenz ist Biologe, Journalist, Botschafter der Loki Schmidt Stiftung und Beirat von GEO schützt den Regenwald. Sein neuestes Buch „Wer wird überleben?“ ist für den NDR-Sachbuchpreis 2021 nominiert. Der Autor unterhielt sein interessiertes Publikum gekonnt, fachkundig und lehrreich. Im Anschluss an seine Lesung gab es Wein mit dem Autor an der Bar der „Late Night Lounge“ im Eschborn K, wo sich ein reger Gedankenaustausch entwickelte.

Hans Garrels